Auch in der Energiewirtschaft ist Digitalisierung das Schlagwort der Stunde. Dass mit ihr große Chancen, aber auch Herausforderungen einhergehen, hört und liest man praktisch jeden Tag, ergänzt um den Hinweis, die Potenziale der Digitalisierung seien längst noch nicht ausgeschöpft, was neue Geschäftsmodelle, mehr Effizienz und zusätzliche Gewinne betrifft. Wenn Marco Beicht über seine Firma powercloud spricht, fällt das D-Wort nicht einziges Mal. Dabei ist Beicht mit seinem Start-up genau damit beschäftigt – den digitalen Wandel voranzutreiben. Der 36-jährige Unternehmer aus dem Schwarzwald spricht lieber in konkreten Bildern und Beispielen. „Es ist nicht mehr der Zähler an der Wand“, sagt er. „In einer modernen Energiewirtschaft kann der Kunde seinen Vertrag online verwalten, über ein Webportal oder über eine App.“ Im alten System, sagt Beicht, stehe Strom entweder für negative oder für gar keine Emotionen. „Er kommt aus der Steckdose und dann kommt die Rechnung, mehr ist es nicht.“ Im neuen System hingegen gehe es um den Kontakt zu den Kunden, darum, Lösungen anzubieten.
EnBW und E.ON sind Kunden
Damit Energieversorger diesen Schritt vom reinen Stromverkäufer zum Stromdienstleister gehen können, liefert Beichts Firma quasi das Betriebssystem. Über eine cloudbasierte Software-as-a-Service-Lösung hilft sie den Energieunternehmen bei Vertrieb, Abwicklung und Abrechnung. „Wir sind der energiewirtschaftliche Maschinenraum“, sagt Beicht. „Wir heben die Versorger in die neue Welt.“ Mittlerweile verwaltet powercloud nach eigenen Angaben sieben Millionen Endkundenverträge.
Geboren wurde Marco Beicht im südbadischen Achern. Bis heute lebt und arbeitet er in der Kleinstadt im Westen Baden-Württembergs. Auch seine Firma hat dort ihren Sitz. Gleich nach dem Abitur gründete er sein erstes Software-Start-up und ging zum Studieren nach Karlsruhe. „Eigentlich wollte ich Techniker werden“, sagt er. „Aber das Informatik-Studium lag mir nicht, obwohl ich ein gutes technisches Verständnis habe.“ Also wechselte er zu BWL. 2012 gründete er powercloud. Steil aufwärts geht es für den Cloud-Software-Anbieter seit drei Jahren, als EnBW sich dazu entschloss, zu powercloud zu wechseln.
Damit hatte Beicht nicht nur erstmals einen der ganz großen Energiekonzerne als Kunden gewonnen. Er machte nun auch dem Software-Riesen SAP Konkurrenz, mit dem EnBW zuvor zusammengearbeitet hatte. Dass ein „etwas wilderes Unternehmen“ wie powercloud ein etabliertes Schwergewicht wie SAP ausstechen kann, erklärt Beicht pragmatisch: „Die Großen haben Angebote, die für viele Branchen passen“, sagt er. „Was wir liefern, ist aber maßgeschneidert für die Energiewirtschaft.“ Die Strategie hat Erfolg. Wenige Monate nach EnBW folgte Eon. Auch der Branchenprimus stellt seine Systeme jetzt auf powercloud um. „Die Umstellung dauert drei bis vier Jahre“, sagt Beicht. „Mit E.ON sind wir jetzt im zweiten Jahr.“ Anfang des Jahres erwarb der US-Investor General Atlantic einen Minderheitsanteil an Beichts Firma. Als nächsten Schritt peilt der Betriebswirt die Marktführerschaft in Deutschland an. In ein bis zwei Jahren soll es soweit sein.
Abrechnungslösung fürs E-Auto-Laden
„Ich bin fortschrittsgetrieben“, sagt Beicht. „Wenn ich sehe, dass Dinge nicht gut laufen, will ich das ändern.“ Und gerade im Energiesektor sei der Bedarf an Veränderung sehr groß. In Achern beispielsweise gebe es auf jedem dritten Haus ein Solardach. „Viele fallen bald aus dem EEG, dann stellt sich die Frage, was kommt danach?“ Das Thema Speicherung werde dann noch wichtiger, genauso wie Peer-to-Peer-Lösungen, etwa wenn man den Solarstrom für die E-Mobilität nutzt. Mit der Tochter-Firma chargecloud bietet Beicht nun auch die Verwaltung und Abrechnung von Ladeinfrastruktur für E-Autos an. „Wenn wir es nicht machen, dann macht es Tesla oder China“, sagt er. „Das müssen wir verhindern.“ Es sei ärgerlich, wie viel Wertschöpfung immer noch verschwendet werde. Das müsse nicht sein. „Selbst in Afrika gibt es teilweise smartere Lösungen.“ Dort sei es üblich, Stromrechnungen übers Handy zu zahlen, während hierzulande nicht einmal Zahlungen per Kreditkarte oder Paypal möglich seien. „Dabei wäre das doch eine gute Sache.“
Auch für die Zukunft hat Beicht viel vor. „Ich bin gut darin, mein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren“, sagt er. Vielen Start-ups passiere es, dass sie sich mit der Zeit „verrennen“, weil Angebote kommen, die in eine andere Richtung führen und so von der ursprünglichen Zielsetzung ablenken. „Wir haben auch solche Angebote bekommen, aber alle abgelehnt.“ Nötig sei, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Nämlich: „Ob in der Energiewirtschaft oder im Bereich öffentlicher Nahverkehr – wir machen nur Infrastruktur. “ Neben einem Büro in Leipzig und einer Niederlassung in Köln soll im nächsten Jahr auch der erste Standort im Ausland eingerichtet werden, „in Südeuropa“. Genaueres will Marco Beicht noch nicht sagen. In fünf bis sechs Jahren soll powercloud schließlich die Nummer-Eins-Plattform in Europa sein. Und Beichts „Vision“ soll Realität geworden sein: Dass man für einen Wechsel des Stromanbieters nur noch ein Foto vom Zähler und der alten Rechnung zu machen braucht – und in zwei Minuten alles erledigt hat. Verena Kern
Wer rettet das Klima? Die Politik oder der Einzelne?
Beide. Am Ende des Tages muss der Einzelne das Klima retten, aber die Politik muss dafür den Rahmen schaffen. Die neue Dienstwagenregelung für Elektroautos und den Aufbau der Ladeinfrastruktur begrüße ich sehr, das geht in die richtige Richtung.
Auf welchen Flug würden Sie nie verzichten?
Eine schwierige Frage. Ich bin an vier Tagen in der Woche beruflich unterwegs, aus zeitlichen Gründen ist es oft nicht möglich, auf das Flugzeug zu verzichten. Innerhalb Deutschlands nehme ich lieber die Bahn, das kostet weniger Zeit und ich kann dabei gut arbeiten.
Wer in der Energie- und Klimawelt hat Sie beeindruckt?
Frank Mastiaux, der Chef von EnBW. Er hatte vor drei Jahren den Mut, mit uns als kleinem Start-up zusammenzuarbeiten. Das war beeindruckend – und es hat sich für beide Seiten ausgezahlt.
Welche Idee gibt der Energiewende neuen Schwung?
Alle dezentralen Themen geben neuen Schwung. Die Zukunft sind nicht große Kraftwerke, sondern viele kleine Erzeuger und Peer-to-Peer-Lösungen.