13.08.2020 – Mit eindrucksvollen Business-Wins bei großen Versorgern und dem Einstieg eines großen Finanzinvestors hat der Software-Anbieter powercloud aus dem badischen Örtchen Achern spätestens seit Mitte vergangenen Jahres für erhebliche Aufmerksamkeit in der Branche gesorgt. Wir sprachen mit Gründer und Geschäftsführer Marco Beicht.
Herr Beicht, wann und wie ist das Unternehmen powercloud eigentlich entstanden?
powercloud wurde 2012 gegründet, die ursprüngliche Idee und erste Entwicklungen sind aber schon 2009 entstanden. Meinen Ursprung habe ich im e-Commerce, wo ich seit 2003 unter anderem auch T-Mobile und tele.ring als Kunden hatte. Der Weg aus dem Telco-Segment zur Energie ist dann auch nicht ganz untypisch erfolgt. Zu Beginn hat sich powercloud vor allem auf die Vertriebsprozesse und das Produktmanagement konzentriert.
Wie kamen Sie auf die Idee, sich gerade auf die Energiewirtschaft zu fokussieren? Die Branche gilt ja eher als komplizierter Markt…
Mit unseren ersten Kunden, allesamt zunächst Strom- und Gasdiscounter, wurde schnell transparent, dass nicht nur neue Lösungen für Produktmanagement und Vertrieb benötigt werden, sondern insbesondere die Abwicklung sich zu einem Kostentreiber und Innovationshemmnis entwickelt hatte. Die initiale Fokussierung auf die neuen Anbieter war für uns eine wichtige Entscheidung. Hier konnten wir unser Wissen aus dem e-Commerce perfekt ausspielen und trafen gleichzeitig auf Akzeptanz für leichtgewichtige Ansätze. Gemeinsam mit den neuen Anbietern begannen wir dann auch zum Beispiel unsere Marktkommunikation, die Abrechnung und die Buchhaltung in den Produktivbetrieb zu bringen – allesamt kritische Prozesse im Herzen eines Energieversorgers. Nachdem wir eine mittlere sechsstellige Anzahl an Kunden auf der Plattform hatten, ist 2015 dann der erste Energiekonzern auf powercloud aufmerksam geworden.
Wodurch unterscheidet sich der Ansatz der powercloud? Oder anders gefragt: Was glauben Sie, hat Ihre Kunden überzeugt?
Unsere Kunden entscheiden sich insbesondere aus vier Gründen für einen Wechsel auf die powercloud. Erstens kümmern wir uns um die regulatorischen Updates, ohne, dass Aufwand beim Kunden für die Umsetzung in der powercloud anfällt. Dazu gehören etwa die Formatwechsel und gesetzliche Anpassungen wie jüngst das Konjunkturpaket. Das spart auf Kundenseite zum einen Budget, zum anderen können knappe Ressourcen sinnvoller eingesetzt werden.
Zweitens senken die Automatisierung, die deutlich geringere Komplexität und die digitalen Kanäle die Cost-to-Serve und zwar weit über die reinen IT-Kosten hinaus.
Der dritte Grund ist, dass unsere Kunden neue Produkte, smarte Bundles und individuelle Angebote schnell und kostengünstig auf dem Markt testen und ohne großen Aufwand abwickeln wollen. Pro-duktinnovation wird immer wichtiger zur Sicherung der Wettbewerbsposition.
Zu guter Letzt ist die Investitionssicherheit ein großes Thema. Die Marktteilnehmer stehen aktuell vor der Herausforderung, dass die Wartung vieler Legacy-Systeme ausläuft oder die Wartung dieser immer schwieriger und kostenintensiver wird. Als Standard-Cloud-Angebot haben wir eine passende Antwort.
Und wie setzen Sie das konkret um?
Wir bauen einen Standard für die Branche, der nicht nur gleichzeitig für kleine und große Versorger passend ist, sondern auch für neue Anbieter und Versorger mit Grundversorgungsgebiet. Das galt lange als unmöglich – zumindest vor powercloud. Dabei durchdenken wir alle Prozesse strikt aus der Perspektive des Endkunden und setzen auf eine hohe Automatisierung. Die Differenzierung von Versorgungsunternehmen findet nämlich immer seltener durch Backend-Prozesse statt, sondern durch das Frontend – sprich durch eine individuelle Kundenansprache und neue Angebote.
Welche Themen beziehungsweise Arbeitsprozesse deckt die powercloud denn aktuell ab?
powercloud wächst Tag für Tag. Dabei bringen nicht nur wir laufend neue Funktionalitäten, sondern auch weitere Anbieter über unseren App-Store. Powercloud konzentriert sich dabei auf die energiewirtschaftlichen Kernprozesse wie Produktmanagement, Kundenakquise, CRM, Abrechnung, Marktkommunikation und Buchhaltung – das alles für Strom, Gas, Wasser, Abwasser und Wärme.
Planen Sie eine Ausweitung der Lösung? Stichwort Netzprozesse?
Nachdem wir die Marktrolle Lieferant zwischenzeitlich sehr erfolgreich auf dem Markt etablieren konnten, haben wir begonnen eine Lösung für Messstellen- und Netzbetreiber zu entwickeln. Darüber hinaus werden auch weitere Medien, wie z.B. Telekommunikationsangebote, zukünftig auf der powercloud abgebildet. Der Ver- und Entsorgungsbranche bleiben wir jedoch auch zukünftig treu und können uns so, mit Expertenwissen und Fokus, von Anbietern differenzieren, die agnostischer unterwegs sind.
Eine interessante Besonderheit bei der powercloud sind die Apps, die von Partner- bzw. Beteiligungsunternehmen wie chargecloud angeboten werden. Können Sie dieses Konzept für unsere Leser erläutern?
Das funktioniert ähnlich wie auf Ihrem Handy. Im powerApp-Store kann man neue Funktionen in seinem powercloud-Mandanten aktivieren. Dabei gibt es drei Kategorien von Apps. Vollintegrierte powerApps bringen zusätzliche Funktionen und Geschäftsmodelle in die powercloud. Chargecloud etwa bringt spezielle Abrechnungsmodelle für die Elektromobilität oder die Verwaltung von Ladesäulen mit, während das Conuti Mieterstrom-Modul sich um die Vermarktung von lokal erzeugter Energie kümmert. Eine weitere Kategorie sind die Interface-Apps, über die andere Softwarelösungen integriert werden – dazu gehört etwa ein Connector zu Salesforce. Schließlich kann über Data-Apps der Zugriff auf Daten gewährt werden, womit neben Analytics-Angeboten auch datengetriebene Geschäftsmodelle einfach möglich werden.
Nun ist die powercloud ja beispielsweise bei der EnBW schon operativ. Was hat sich für das Unternehmen geändert? (Prozesse, Kosten etc.)
EnBW ist ausgesprochen gut in der Umsetzung digitaler Kanäle und bei der Nutzung smarter Automatisierung mit unserem Event-System. Neue Produkte können sehr viel schneller auf den Markt gebracht und dann zuverlässig abgewickelt werden. Ebenso wichtig wie die neuen technischen Möglichkeiten ist aber auch der kulturelle Wandel im Unternehmen selbst, der mit der Einführung einer Cloud-Lösung einhergeht. Dazu gehören neben dem Abbau von Komplexität auch die Digitalisierung des Tagesgeschäfts und neue Arbeitsweisen. Deswegen erklären wir unseren Kunden zu Beginn eines Projekts auch zuerst, dass neben der rein technischen Migration, die heute im Übrigen risikoarm durchgeführt werden kann, die Herausforderungen insbesondere im Change-Management liegen.
Neben den „großen Vier“ haben wir ja noch eine ganze Menge regionaler Versorger und Stadtwerke. Wie agiert powercloud in diesem Segment?
Gemeinsam mit Partnern haben wir vorkonfektionierte Angebote für Stadtwerke geschaffen. Das ist wichtig, da viele Stadtwerke sich nicht mit der individuellen Auswahl von zusätzlichen Komponenten, wie etwa einem Web-Portal, beschäftigen wollen. Die neue IT-Landschaft muss vom ersten Tag an funktionieren. Da sind erfolgserprobte Kombinationen ein gewichtiges Argument. Auch in Sachen Einführungsszenarien wurden Standards geschaffen. Ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt, der nicht nur zeitliche Vorteile bringt, sondern auch zuverlässig Risiko aus dem Migrationsvorhaben nimmt.
Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Welches sind die nächsten Schritte und die mittelfristigen Ziele?
Natürlich wollen wir auch für Stadtwerke die erste Wahl sein und im Bereich MSB und Netz den Erfolg der powercloud wiederholen. Die Weichen hierfür wurden gestellt und wir sind aktiv an der Umsetzung. Wir wachsen auch außerhalb Deutschlands. Aus Endkundensicht sind die unterschiedlichen Märkte am Ende nicht so unterschiedlich. Deswegen folgen auch die ersten An-bieter dem Erfolgsmodell „Made in Germany“. (pq)