Warum der „Churn-Zug“ bei den EVU immer mehr an Tempo aufnimmt – und was man dagegen machen kann

Wechselquoten von deutlich mehr als 10 Prozent des Kundenstamms sind mittlerweile Standard im europäischen Energiemarkt. In vielen Ländern steigen sie sehr schnell. Gerade etablierte Energieversorgungsunternehmen geraten zunehmend unter Druck, weil agile Start-Ups und branchenfremde Anbieter den Markt mit digitalen Kanälen und individuellen Angeboten aufmischen. Vor diesem Hintergrund ist es unverzichtbar, dass viele EVU ihre IT-Strukturen jetzt modernisieren. Entscheidendes Motto dabei: Alles vom Kunden her denken und passgenaue Produkte anbieten!   

 

Seit Liberalisierung der europäischen Energiemärkte vor rund 20 Jahren steigt der Anteil von Haushaltskunden, die sich von ihren Versorgern regelmäßig abwenden, immer weiter an – ein Trend, der sich an der Churn-Rate (Anteil von Wechselkunden pro Kundenstamm) des Marktes präzise ablesen lässt. Dazu listet das Council of European Energy Regulators (CEER) in einem Report von November 2019 unter anderem folgende Zahlen auf:

  • Die höchste europäischen Wechselrate im Stromsegment weist Norwegen auf. Sie betrug im Jahr 2018 über 20 Prozent.
  • Weitere Märkte mit einer relativ hohen durchschnittlichen Wechselrate von mindestens 10 Prozent sind Finnland, Deutschland, Großbritannien, Irland, Portugal, Spanien und Schweden.
  • Auch „Nachzügler“ wie Frankreich holen derzeit schnell auf. Im Jahr 2018 betrug die Wechselrate im Markt bereits über 9 Prozent, was ungefähr einer Verdopplung im Vergleich zum Zeitraum 2013 bis 2017 entspricht.

 

Im Laufe der Jahre summieren sich solche Churn-Zahlen zu einer enormen Kundenfluktuation. So schätzt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), dass in Deutschland über 44 Prozent aller Haushaltskunden seit der Liberalisierung mindestens einmal ihren Stromversorger gewechselt haben, viele davon mehrfach.

 

Kundenverhalten und Produkte verändern sich

Der entscheidende Antrieb für die notwendige Veränderung des Marktes (und der damit einhergehenden wachsenden Kunden-Wechselquote) ist ein völlig verändertes Kundenverhalten. Digitale Kanäle sorgen für einen schnellen Zugriff auf neue Angebote und bieten umfassende Vergleichsmöglichkeiten. Dabei geht es nicht nur um Preise, sondern auch um die abgebildete Kundenzufriedenheit. Die Branche und das Segment, in der sich ein Anbieter bewegt, spielen hingegen nur noch eine untergeordnete Rolle. Vom Auto über Versicherungen bis zum Energievertrag – alles lässt sich online vergleichen, konfigurieren und bestellen. In der Folge müssen auch und gerade EVU ihre Produktwelt neu definieren, um im Wettbewerb gegen Start-Ups und neue Player aus anderen Branchen bestehen zu können:

  • Mit einzelnen Stromverträge kann man sich nicht mehr vom Markt absetzen. Folglich rücken zum Beispiel Strom-Gas-Bundles mit zusätzlichen Kundenvorteilen in den Fokus. Beispielsweise die neue DEW21-Tochter „stadtenergie“ bietet solche Angebote bereits voll digital an.
  • Der nächste Schritt ist die Verbindung von Commodity und Non-Commodity. Kunden kombinieren ihren neuen Energievertrag also mit dem Erwerb von Handys, Spielekonsolen, Waschmaschinen, Netflix-Abonnements und vielem mehr. Die Anforderungen an Versorger, um solche Angebote abbilden zu können, sind dabei geringer als gedacht: Mit der „Non-Commodity-Fulfillment“ App befindet sich im powerApp-Stores von powercloud ein passendes Full-Service-Angebot. Die App ermöglicht die Etablierung eines riesigen Produkt-Portfolios ohne Kapitalbindung. Dabei werden alle Leistungen im Namen des Versorgers durch große Handelsunternehmen erbracht.
  • Volldigitale Angebote wie beispielsweise von stromee haben Prozesse so stark automatisiert und digitalisiert, dass sie mit einem Bruchteil der branchentypischen Cost-to-Serve auskommen und bei einer Grundgebühr von lediglich fünf Euro alle Einkaufspreise 1:1 weitergeben können.
  • Abseits davon könnten regionale Versorger wie Stadtwerke stärker als bisher mit ihrem vorhandenen Produktportfolio punkten. Voraussetzung hierfür sind ebenfalls Bündel-Angebote: Wer beispielsweise eine „kostenlose“ Familien-Jahreskarte für das örtliche Hallenband zusammen mit dem Stromtarifen bekommt, wird bei seinem Stadtwerk bleiben wollen. Stadtwerke können somit Ihre regionale Anbieterdominanz absichern und sogar ausbauen.

 

 

 

 

Wechselrate am höchsten nach Rechnungsstellung

Aber wann genau entschließen sich Kunden eigentlich zum Wechseln? Hierzu gibt eine Deloitte-Studie Auskunft, die unter anderem die Rolle der Rechnung unter die Lupe genommen hat, weil sie häufig der einzige jährliche Kunden-Kontaktpunkt mit dem Energieversorger darstellt. Die überwiegende Mehrheit ist laut Studie mit der Art und Weise der Rechnungsstellung zufrieden. Allerdings gilt laut Studie auch: „Die Churn-Rate ist nach dem Erhalt der Rechnung am höchsten.“ Wer hieran etwas ändern will, muss auf Tempo achten: Rückfragen zur Rechnung sollten sehr schnell beantwortet – unabhängig davon, ob sie per Telefon, Online-Portal, E-Mail oder Web-Chat ankommen – und das Problem „innerhalb eines Werktages“ inklusive einer möglichen Rechnungskorrektur gelöst werden, so die Autoren der Studie. Sie betonen darüber hinaus, dass ein möglichst einfaches Kundenerlebnis wie eine „natürliche Wechselbarriere“ wirke – was allerdings letztlich eine Automatisierung der Akquise- und Serviceprozesse innerhalb der EVU voraussetze.

 

Der ideale Weg bleibt aber natürlich, korrekte Rechnungen an die Kunden zu versenden. powercloud bietet mit seiner Automatisierung beste Voraussetzungen dafür und vermeidet mit umfangreichen Prüfregeln den Versand fehlerhafter Rechnungen – und die damit verbundenen teuren Beschwerde- und Korrekturvorgänge.

 

powercloud: Rasante Produktentwicklung und automatisierte Abrechnung

Insgesamt rückt an dieser Stelle also die „interne“ Digitalisierung der EVU ins Zentrum der Diskussion. Vor dem Hintergrund des veränderten Kundenverhaltens lautet die klare Direktive: Jede Neugestaltung der Prozesslandschaft muss mit der „Kundenbrille“ erfolgen. Dazu gehört beispielweise eine konsequente Verknüpfung von Front- und Backend. Nur so ist gesichert, dass Daten und Aktionen übersichtlich dargestellt werden und der Verbraucher die Chance hat, seinen Vertrag selbstständig zu verwalten und zu erweitern. Im Übrigen ist das Grundvoraussetzung dafür, damit fallabschließende Bearbeitungen von Vorgängen mit hoher Quote erfolgen können. Und: Die neue Infrastruktur muss in der Lage sein, die angesprochene Produktentwicklung massiv zu vereinfachen. Welche Möglichkeiten in diesem Zusammenhang die powercloud eröffnet, zeigt das Beispiel E.ON. Seit der Einführung der SaaS-Lösung bei dem multinationalen Unternehmen mit Sitz in Essen geht die Entwicklung von neuen Produkten in wenigen Tagen vonstatten – vorher dauerten vergleichbare Prozesse mehrere Monate. Auch die Zufriedenheit der Sachbearbeiter und Call-Center-Agenten ist massiv gestiegen.

 

 

 

 

Churn verlangsamen und gegensteuern

Insgesamt beinhaltet die powercloud alle Geschäftsprozesse und Daten, die für den „energiewirtschaftlichen Maschinenraum“ notwendig sind. Die Services sind auch einzeln buchbar. Dazu gehören Abrechnungsprozesse, Marktkommunikation, Zahlungsverkehr, Forderungsmanagement, Rechnungsprüfung, Tarif- und Angebotskalkulation sowie viele weitere Fähigkeiten. Darüber hinaus bieten powercloud und verschiedene Partnerunternehmen in einem App-Store über 80 Apps an, die individuelle Anforderungen abdecken.

 

Bringt das alles den Churn-Zug komplett zum Stoppen? Sicher nicht. Dafür gerät er aber an den richten Stellen ins Stocken – und zwar bei den gewünschten Kunden. Denn so etwas ist auch möglich: Kunden mit überdurchschnittlichem Deckungsbeitrag oder weiterem Potential identifizieren, ihre Situation auf Datenbasis analysieren und Angebote vor Vertragsende machen, die zu einer besseren Kundenbeziehung führen. Dass man von seinem Versorger eine Nachricht zur rechten Zeit bekommt, die beispielsweise günstigere Tarife und attraktive Bundle-Pakete beinhaltet, kennen viele Kunden noch gar nicht. Wir meinen: Es wird Zeit dafür.

 

 

Über den Autor

Marco Beicht, im südbadischen Achern geboren, ist Gründer und CEO von powercloud. Bis heute lebt und arbeitet er in Achern, dem Sitz der powercloud GmbH, die in naher Zukunft einen hochmodernen und klimaneutralen IT-Campus als neuen Firmensitz erhält. Gleich nach dem Abitur gründete Marco Beicht sein erstes Software-Start-Up, im Anschluss an sein Studium spezialisierte er sich auf eCommerce. Heute ist Marco Beicht Geschäftsführer und Gesellschafter verschiedener Energie-, Software- und Investment-Unternehmen.